Zur Autorin
Bild: Lukas Maeder
Viola Rohner wurde 1962 in Männedorf (CH) geboren und studierte Germanistik, Geschichte, Theaterwissenschaften und Psychologie in Zürich und Berlin. Langjährige Arbeit als Gymnasiallehrerin und Literaturveranstalterin. Längere Aufenthalte in Dänemark und den USA. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich und Innsbruck und leitet seit 2019 den Lehrgang ‘Literarisches Schreiben’ an der Volkshochschule Zürich und ist als Mentorin am Theater Winkelwiese im Rahmen des DramenProzessors tätig.
Viola Rohner schreibt Prosa und Theaterstücke für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Sie erhielt verschiedene Werkbeiträge und Auszeichnungen. U.a. von PRO HELVETIA, Migros Kulturprozent und SSA (Société Suisse des Auteurs). Im Dezember 2013 erhielt sie den Lilly Ronchetti-Preis des AdS, im August 2014 ein Werkjahr des Kantons Zürich. 2018 gewann sie einen Produktionsbeitrag des Kantons Luzern und ein Atelierstipendium von PRO HELVETIA in Kairo.
2022 erhielt sie ein Atelierstipendium in Sarjevo im Rahmen des Writers in Residence Programme in Southeast Europe.
Preise & Werkbeiträge
- Atelierstipendium in Sarajevo 2022 von TRADUKI
- Atelierstipendium von PRO HELVETIA in Kairo 2018
- Werkbeitrag Selektive Förderung Kanton Luzern 2018
- Boxenstopp-Stipendium Schweiz 2015
- Werkbeitrag des Kantons Zürich 2014
- Stipendiatin des Kinder- und Jugendtheaterfestivals 'Luaga & Losna 2014' in Nenzing (A) mit dem Jugendstück 'Fötus, Baby, Penner'
- Lilly Ronchetti-Preis 2013
- Longlist Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis 2013 mit 'Wie Grossvater schwimmen lernte'
- Finalistin, Evangelischer Buchpreis 2012 mit 'Wie Grossvater schwimmen lernte'
- Preis des SSA (Société Suisse des Autors) 2009 für das Theaterstück 'Perfekt'
- Werkbeitrag des Kantons Appenzell Ausserrhoden 2008
- Stipendium DramenProzessor 2004/05
- Werkbeiträge von Migros Kulturprozent und Steo-Stifung
- Werkbeitrag von PRO HELVETIA 2004 für das Romanprojekt 'Alles Gute und auf Wiedersehen'
- Werkbeitrag des Kantons Appenzell Ausserrhoden 2002, 'Unkraut'
- Auswahlliste Schillerpreis der Stadt Zürich 2002, 'Unkraut'
- Finalistin, Robert-Walser-Preis 2002, 'Unkraut'
- Finalistin, Hermann-Ganz-Preis, 2001, 'Unkraut'
Stimmen
„Viola Rohners Texte zeugen von einer ausgeprägten Empfindsamkeit und einem feinen Gehör für die leisen Zwischentöne. Die Autorin besitzt ein untrügliches Gespür für Farben und Schattierungen. Ihre präzise gesetzten Details verweisen auf ein grösseres Ganzes."
Alexandra von Arx, Laudatio Lilly Ronchetti-Preis
„Mit geradezu heimtückischer Lakonie, mit einem aufreizend sachlichen Ton und mit wenigen, aber konturenscharfen Strichen lässt die Erzählerin ihre Figuren in kurzen Erzählungen hervortreten. Bald schockartig, bald mit sanfter Gewalt wird das Selbst- und Weltbild der Figuren um kleine Nuancen verschoben, aber stets ausreichend, um sie nachhaltig zu verstören.“
Roman Bucheli, Laudatio Werkbeitrag Kanton Zürich
«Wenn ich unterwegs bin, reise, interessiere ich mich primär für die Menschen.»
Der See, an dessen rechtem Ufer Viola Rohner am 26. September 1962 im Spital Männedorf zur Welt kommt, findet oft Eingang in ihre Erzählungen und Geschichten. Die Einheimischen nennen die von der Sonne privilegierte Seeseite Zürichs gerne auch Goldküste, Viola Rohner wird sie später auch die «Goldseite» nennen, dort, wo man schöner wohnt, schöner isst und schöner lebt; die Seite, die das Herz auf dem richtigen, nämlich rechten Fleck trägt. Sie wächst an der Wannenstrasse 15 in Erlenbach auf, in einer ruhigen, gutbürgerlichen Wohngegend, die auf eine behütete Kindheit und Jugend schliessen lässt. Doch genau wie bei Viola Rohners Erzählungen ist vieles nicht so, wie es scheint – bekommt die Goldküstenfassade feine Risse. Spätestens beim Lesen der konfliktreichen Vater-Tochter-Geschichte «Das Treffen», die nach Angaben der Autorin autobiografische Züge trägt, wird uns das klar.
Prägende Jahre in Berlin
Mit 21 Jahren verlässt Viola Rohner ihr Elternhaus und zieht nach Zürich, um Germanistik und allgemeine Geschichte zu studieren. 1987 absolviert sie ein Austauschjahr im noch geteilten Berlin, wo sie Theaterwissenschaften belegt. Zurück in Zürich bewirbt sie sich mit einem ihrer Texte an der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH – Adolf Muschg hat die bedeutende ostdeutsche Schriftstellerin Christa Wolf für eine Gastdozentur gewinnen könnten – und wird angenommen. Ein Glücksfall, denn von Christa Wolf lernt Viola Rohner nicht nur das literarische Schreiben, sondern auch, wie man es unterrichtet. Kurz vor dem Mauerfall, im Frühjahr 1989, kehrt Viola Rohner für eine Regiehospitanz ans «Deutsche Theater» nach Berlin zurück. Man inszeniert Werner Buhss‘ «Die Festung» und verbringt Monate damit, über Mauern, Festungsideologien und irrationale Ängste zu diskutieren. Kaum zurück in der Schweiz, überschlagen sich im November 89 die Ereignisse. Viola Rohner hat während ihrer Hospitanz die Anfänge eines zeitgeschichtlich historischen Momentes miterlebt und wird später ihre Erlebnisse rund um den Berliner Mauerfall in ihrem Roman «Alles Gute und auf Wiedersehen» verarbeiten.
Wachsendes Selbstvertrauen
Geschrieben hat Viola Rohner schon von Kindesbeinen an, doch während des Germanistikstudiums, beim Lesen von Literaturgrössen wie Büchner und Kafka, melden sich Zweifel. In Berlin überrascht sie der unverkrampfte Umgang mit Literatur, die Selbstverständlichkeit, mit der junge Autorinnen und Autoren ihre Texte zum Besten geben. Sie besucht Zimmerlesungen, saugt die kreative Atmosphäre wie ein Löschpapier in sich auf und beschliesst, nie mehr mit dem Schreiben aufzuhören. 2002 erscheint ihr Erstlingswerk «Unkraut», mit dem sie Finalistin für den Robert-Walser-Preis wird. 2004 erhält sie ein Stipendium für den «Dramenprozessor» am Theater an der Winkelwiese, schreibt fortan nicht mehr nur Prosa, sondern auch Theaterstücke. Das Zielpublikum wächst weiter und es entsteht eine Reihe von wunderbar illustrierten Kinderbüchern, die Viola Rohner, selbst Mutter zweier mittlerweile erwachsenen Töchter, sehr am Herzen liegen.
Beinahe so wichtig wie das Schreiben ist für Viola Rohner das Vermitteln von Wissen. Zwei Tage in der Woche arbeitet sie als Gymnasiallehrerin an der Kantonsschule Baden und schon zum vierten Mal in Folge leitet sie den Lehrgang «Literarisches Schreiben» an der Volkshochschule Zürich (VHSZH). Gemeinsam mit ihrem Mann, der in Österreich arbeitet, lebt sie teils in Zürich, teils in Innsbruck und geniesst den Perspektivenwechsel, den ein solches Leben mit sich bringt. Reisen ist für die Autorin immer auch Inspiration und wir dürfen gespannt sein, was für Geschichten sie uns aus Kairo mitbringt, wohin sie 2018 von «Pro Helvetia» für ein Altelierstipendium eingeladen wurde. So wie wir Viola Rohner kennengelernt haben, werden sie alles andere als langweilig.
Aus: Auf den Spuren der Literatur, Poetische Wanderungen in und um Zürich, Beitrag von Katinka Ruffieux Szöke , Weber Verlag 2021
Kairo ist wie ein Kondensat der Welt
SUSANNA PETRIN, Kairo, Aargauer Zeitung, 3.4. 2019
Die Schweizer Autorin Viola Rohner hat sich für drei Monate ins ägyptische Leben hineingeworfen. Morgen liest sie im Odeon Brugg.
Die ersten Tage flüchtete sie sich noch des öfteren in ein westliches Café. Kairo verschlug Viola Rohner den Atem. „So laut, so schnell, so luftverschmutzt.“ So baulich heruntergekommen auch. Die Fotos, die sie sich zu Hause in Zürich angeschaut hatte, seien offenbar geschönt gewesen. Das richtige Kairo, dieser 24-Millionen-Moloch, drohte sie nun zu überwältigen. Das war zu Beginn ihres dreimonatigen Künstlerinnen-Aufenthalts, zu dem Pro Helvetia sie eingeladen hatte. Doch Viola Rohner liess sich von Kairo nicht so schnell einschüchtern. Mit beharrlicher Sanftheit warf sie sich hinein ins Stadtgeflecht. „Sie kam sich vor wie ein grosses Ohr oder ein grosses Auge, das herumging“, denkt eine fiktive Autorin in einer ihrer Kurzgeschichten. Ein spätestens jetzt autobiographisch gewordener Satz. Viola Rohner ging in Quartiere, die manche Ägypter noch nie zu betreten gewagt hatten. Sie nahm Arabischunterricht. Sie traf regelmässig eine Flüchtlingsfrau aus Jemen. Und sie zog in eine WG mit einer jungen Ägypterin. Dass es dort so aussah, wie früher in den Zimmern ihrer pubertierenden Töchter - es war der 56-Jährigen egal. Sie habe sich bestens mit der lieben Mitbewohnerin verstanden. Und Mona war ihr Lexikon und Schlüssel zur Gesellschaft zugleich: Sie konnte sie alles fragen, sie lernte durch sie rasch viele weitere Einheimische kennen.
Praktischer Kurzhaarschnitt, Brille, dezente Kleidung, höfliches Auftreten. Viola Rohner, eine korrekte Schweizerin im chaotischen Kairo? Nicht zu viel auf solche Äusserlichkeiten zu geben, das lehren einen ihre Kurzgeschichten im neuen Band „42 Grad“. Eine brave Hausfrau sieht da zu, wie allmählich das tote Meerschweinchen der Tochter verfault. Eine rationale Assistenzärztin lässt sich auf einer Russlandreise zu einem sexuellen Abenteuer hinreissen, das auf einer Zugtoilette zum Höhepunkt kommt. Viola Rohner erzählt diese Geschichten so lakonisch wie eindringlich. „Ich weiss, dass das alles gleichzeitig existiert in uns Menschen“, sagt sie, „wir haben diese Widersprüchlichkeit in uns“. Die Geschichte „das Treffen“, in der sich eine junge Frau an den gewalttätigen Vater erinnert, ist gar zu weiten Teilen Viola Rohners eigene.
In der Schweiz würden stets die Fassaden gewahrt. Relative Armut gibt es auch, man sehe sie aber kaum. Und wenn wir ein Billig-T-Shirt im H&M kaufen, sehen wir die ausgebeuteten Näherinnen aus Bangladesh erst recht nicht. In Kairo aber, und das ist Viola Rohner am meisten eingefahren, liegen Arm und Reich offen für alle sichtbar nebeneinander auf der Strasse. Wo gut situierte Mittelständische in schönen Apartments leben, haust im selben Gebäude der Abwart mit seiner meist umfangreichen Familie in etwas, das mehr einem Loch denn einer Wohnung gleicht. Oder da holen Nachts auf Eselskarren die Armen den Abfall der Reichen ab, um ihn später von Hand zu sortieren. „Man kann sich dem Anblick der Armut hier kaum entziehen, kann sie nicht verdrängen - es sei denn, man lebt in einem Compound wie Beverly Hills.“
Sämtliche Probleme offen ansprechen, das können in Ägypten am ehesten noch Autoren. Als einzige Kulturschaffende werden sie hier nicht zensiert. Sie habe eine sehr lebendige Szene und äusserst selbstbewusste Autorinnen und Autoren angetroffen, erzählt Viola Rohner: „Sie sind stolz auf ihre Sprache, sie wissen, dass ihre Literatur gut und wertvoll ist.“ In der Schweiz dagegen herrsche das Bewusstsein vor, nur einen kleinen Teil der deutschsprachigen Literatur auszumachen.
Trotz ihrer Grösse sei die Kairoer Literaturszene eine einziger grosser Kuchen: „Alle sind miteinander befreundet.“ Als Viola Rohner an der Kairoer Buchmesse einen international vernetzten Verleger kennenlernte, führte diese Bekanntschaft rasch zur nächsten und so weiter. Alsbald wurde sie zu Lesungen an Schulen, am Literaturfestival und in Kulturzentren eingeladen. Und sie erfuhr so viel Gastfreundschaft, dass sie gegen Ende ihres Aufenthalts richtiggehend in „Sozialstress“ geriet.
Da Viola Rohner auch als Lehrerin an der Kantonsschule Baden arbeitet, hat sie sich besonders für das ägyptische Bildungssystem interessiert. Ein Primarlehrer, der 75 Kinder einer Klasse habe, verdiene monatlich 700 ägyptische Pfund, etwa 38 Franken. Denselben Betrag gebe eine mittelständische Familie für einen Abend im Restaurant aus. Ein Beispiel, das für Viola Rohner alles zusammenfasst, was schiefläuft. Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder an eine Privatschule. Doch so bleiben die Kinder der Armen ungebildet - und arm.
Sie habe hier „ganz tief erfahren, dass es mehr gibt, als die hochentwickelte Welt, wo jeder Spülknopf funktioniert“. Die heile Schweiz sei die Ausnahme. Ein Leben in Armut für den grösseren Teil der Menschheit die Regel. Und hier in Kairo erlebe man alles nebeneinander. Das sei ihr prägendstes Erlebnis, sagt Viola Rohner: „Kairo ist wie ein Kondensat der Welt.“
Bisher hat die Autorin vor allem psychologische Widersprüche im Inneren ihrer Figuren ausgearbeitet. Nach dieser Erfahrung möchte sie sich der Widersprüchlichkeit in einem universelleren Sinn zuwenden. Zudem gebe es erste Ideen für Bildungshilfsprojekte in Kairo. Kommt sie wieder? „Auf jeden Fall. Ich habe jetzt schon so viele Abmachungen!“